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In der Schweiz ist
alles etwas anders
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Im Mai 2000 ist der mutmassliche Mafiaboss Gerardo
Cuomo in Zürich verhaftet worden. Am 4. August
folgte die Verhaftung des Präsidenten des
Tessiner Strafgerichts Franco Verda in Lugano. Die
Ermittlungen im Tessin und in Apulien sorgen
seither unter dem einschlägigen Titel
«Ticinogate» für Schlagzeilen in der
Presse und den elektronischen Medien. Die Schweiz
wird dabei erneut als finanzielle und
organisatorische Drehscheibe des illegalen
Zigarettenhandels dargestellt. Grund dafür
bilden die seit längerer Zeit seitens der
Europäischen Union (EU) erhobenen
Vorwürfe, die Schweiz verhindere weder die
Finanzierung noch die Organisation des
Zigarettenschmuggels und leiste in solchen
Fällen auch keine Rechtshilfe. Dabei wird
jedoch übersehen, dass die Schweiz bislang in
zahlreichen Betrugsfällen zu Lasten des
EU-Haushaltes Rechtshilfe geleistet hat. Zudem
bekräftigte im Juli 2000 Bundesrat Joseph
Deiss in Brüssel die Bereitschaft der Schweiz
zu zügigen Verhandlungen auch betreffend Kampf
gegen Zoll- und Fiskalbetrug.
Rechtshilfe wird bei Abgabebetrug
gewährt
In den Medien wird immer wieder erwähnt,
der Zigarettenschmuggel sei in der Schweiz kein
strafbarer Tatbestand. Deshalb könne in
solchen Fällen keine Rechtshilfe geleistet
werden. Diese Aussage trifft so nicht zu.
Die Schweiz leistet Rechtshilfe in Fiskalsachen,
wenn Gegenstand des Verfahrens ein Abgabebetrug
ist. Da bei den grossen, der organisierten
Kriminalität zuzurechnenden
Zigarettenschmuggelfällen das Vorliegen von
Abgabebetrug stets bejaht werden konnte, hat die
Zollverwaltung in zahlreichen Fällen auf
entsprechende Gesuche hin Rechtshilfe geleistet.
Die Antimafiabehörden in Bari beispielsweise
haben denn auch am 9. August 2000 die Mitwirkung
der Schweiz im Kampf gegen den internationalen
Zigarettenschmuggel ausdrücklich gelobt.
Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn
Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf
eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet
erscheint oder Vorschriften über
währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische
Massnahmen verletzt. Jedoch kann einem Ersuchen um
Rechtshilfe nach dem dritten Teil des Gesetzes
entsprochen werden, wenn Gegenstand des Verfahrens
ein Abgabebetrug ist.
Vorbeugende Massnahmen
Um den Zigarettenschmuggel gegen die EU zu
verhindern, meldet die Eidgenössische
Zollverwaltung seit 1994 jeden Zigarettentransport,
der die Schweiz in einem Transitverfahren
verlässt, auf elektronischem Weg sowohl der
Grenzübergangsstelle als auch der
Bestimmungszollstelle und der EU-Kommission (OLAF =
EU-Betrugsbekämpfungsbehörde). Damit wird
es den Zollorganen der EU-Mitgliedstaaten
ermöglicht, den Weg der Sendung zu verfolgen
und gegen allfällige Widerhandlungen
einzuschreiten. Als weitere Massnahme gegen den
Zigarettenschmuggel akzeptiert die Schweiz nur noch
Einzelbürgschaften für im Transit
transportierte Zigaretten und hat zudem die
Bürgschaftsbeträge für solche
Sendungen massiv erhöht. Die Abgaben betragen
rund eine Million Franken pro Lastwagen mit
Anhänger.
Die beiden Massnahmen haben dazu geführt,
dass der Versand von Zigaretten ex Schweizer
Zollfreilager praktisch zum Erliegen gekommen ist.
Damit leistet die Schweiz einen erheblichen Beitrag
zur Schmuggelbekämpfung.
Teilweise unterschiedliche
Rechtsauffassung
Einer der Hauptgründe dafür, dass die
Schweiz gleichwohl immer wieder ins Kreuzfeuer der
Kritik gerät, beruht auf der unterschiedlichen
Rechtsauffassung zwischen der Schweiz und der EU
über den Anwendungsbereich des
Zusatzprotokolls vom 9. Juni 1997 zum
Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU
über die gegenseitige Amtshilfe im
Zollbereich. So verlangt die EU auf dem Weg der
Amtshilfe oft Massnahmen, deren Vollzug nach
schweizerischer Rechtsauffassung nur im Rahmen der
Rechtshilfe zulässig ist. Im Weiteren wird
auch die oft allzu lange Dauer der
Rechtshilfeverfahren beanstandet. Dass diese
Verfahren zum Teil oft lange dauern, hat die
Schweiz nicht alleine zu vertreten. Oft genügt
der Inhalt eines Rechtshilfeersuchens den
gesetzlichen Anforderungen nicht, so dass der
Vollzug erst nach mehrmaligen Rückfragen
angeordnet werden kann.
Die Amtshilfe
Die gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich
zwischen der Schweiz und der EU ist aufgrund eines
Zusatzprotokolls zum Freihandelsabkommen Schweiz –
EU von 1972 wird von der Schweiz seit dem 1. Juli
1997 angewendet. Im Rahmen dieses Abkommens leisten
die Vertragsparteien einander – auf Ersuchen
oder spontan – Amtshilfe bei der Aufdeckung
von Widerhandlungen gegen das Zollrecht. Es
betrifft dies die Ein-, Aus- und Durchfuhr von
Waren einschliesslich der Verbote,
Beschränkungen und Kontrollen. Die Amtshilfe
kann zwischen den Direktionen, aber auch z.B.
zwischen gegenüberliegenden Zollstellen
erfolgen. Jährlich werden Hunderte von
Informationen – insbesondere mit unsern
Nachbarländern, die alle EU-Mitglieder sind –
ausgetauscht.
Insbesondere ermöglichen es diese
Auskünfte – Handlungen, die gegen das
Zollrecht verstossen könnten (z.B.
Hinterziehung von Abgaben, Subventionsbetrug),
- Unrechtsmässige Bewegungen von Waren
und Beförderungsmitteln (z.B. unverzollte
Auslieferung),
- Ordnungsgemäss exportierte, aber nicht
zur Einfuhr deklarierte Sendungen (z.B. Umgehung
der Mehrwertsteuer) aufzudecken.
Die Rechtshilfe
Die Rechtshilfe umfasst alle Massnahmen, die
eine ersuchte Behörde trifft, um
ausländische Behörden bei einem
Strafverfahren zu unterstützen. Unerheblich
ist, ob sie zu Verfolgungszwecken oder zur
Urteilsvollstreckung anbegehrt wurde. Dazu
gehören namentlich die Befragung von
Beschuldigten, Auskunftspersonen oder Zeugen, die
Sicherstellung oder Herausgabe von Beweismitteln,
Hausdurchsuchung und Beschlagnahme, Zustellung von
Vorladungen, Urteilen usw. Ausländische
Behörden richten ihr Gesuch an das Bundesamt
für Justiz in Bern.
Verhandlungen werden vorbereitet
Beim Zigarettenschmuggel zum Nachteil der EU
handelt es sich um ein gesamteuropäisches
Problem. Die Bekämpfung des organisierten
Verbrechens im Bereich des Zigarettenschmuggels ist
daher mit der EU gemeinsam anzugehen. Die Schweiz
hat ihre Bereitschaft dazu den damaligen
EU-Kommissaren Gradin und van den Broek mit
Schreiben vom 9. September 1998 signalisiert. Diese
Bereitschaft wurde während des Brüsseler
Besuchs von Bundesrat Joseph Deiss im Juli
erneuert. Die Schweiz hat keinerlei Interesse
daran, als Drehscheibe des organisierten
Zigarettenschmuggels zu dienen. Sie ist im
Gegenteil an einem gut funktionierenden Zollwesen,
an einer effizienten Betrugsbekämpfung sowie
an einer funktionierenden internationalen
Zusammenarbeit interessiert.
Die gestützt auf den besagten Briefwechsel
im vergangenen Jahr durchgeführten
Gespräche zwischen Experten beider Seiten
bilden die Grundlage für Verhandlungsmandate,
die derzeit beiderseits ausgearbeitet werden. Im
Herbst findet zwischen der EU-Kommission und der
Schweiz eine Auslegeordnung über die
verschiedenen von beiden Seiten auch ausserhalb
dieses Bereiches gestellten Verhandlungsbegehren
statt, an der die einzuschlagende Vorgehensweise
festgelegt werden soll.
Eidgenössisches Finanzdepartement
24. August 2000
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