Im Kanton Zug sind 188 Strafen nicht korrekt
vollzogen worden
Der Strafvollzug funktionierte im Kanton Zug
über Jahre hinweg nicht korrekt. Der Leiter
des Amtes für Straf- und Massnahmenvollzug
liess zahlreiche Fälle einfach liegen, die
dann verjährten. Der Vollzugs-Skandal
fällt in die Amtszeit von Sicherheitsdirektor
Hanspeter Uster.
Im Zentrum des Vollzugs-Skandls steht der Chef
des Zuger Amtes für Straf- und
Massnahmenvollzug, der von den siebziger Jahren bis
2006 im Amt war. Er liess nach Gerichtsurteilen
häufig Milde walten oder liess viele
Fälle einfach liegen. So legte er Dossiers
einfach zuhinterst in einen Schrank, in eine
Schublade, auf eine Papierbeige oder in eine
Hängemappe, wo sie der Vergessenheit
anheimfielen und erst vor einem Jahr bei der
Büroräumung gefunden wurden.
Keine schweren Straftaten
Als Folge des Schlendrians haben viele
Verurteilte im Kanton Zug in den letzten dreissig
Jahren ihre Strafe nicht verbüsst. Über
100 Fälle verjährten. In 64 Fällen
wurde gemeinnützige Arbeit oder die bedingte
Entlassung bewilligt, ohne dass die dafür
nötigen Voraussetzungen erfüllt waren.
Insgesamt 188 Fälle oder zehn Prozent der
untersuchten Fälle sind nicht korrekt erledigt
worden. Es handelt sich um keine schweren
Straftaten, die ungesühnt blieben. Sie
betrafen auch nicht ein bestimmtes Delikt, sondern
Straftaten aus vielen Bereichen des
Strafgesetzbuches. Der Fall des Zuger
Attentäters Friedrich Leibacher ist nicht
darunter gewesen. Verantwortlich für das
Schlamassel ist der frühere Chef des Amtes
für Straf- und Massnahmenvollzug der von 1973
bis Ende August 2006 im Staatsdienst war, von 1979
an zuständig für den Straf- und
Massnahmenvollzug. Gegen ihn läuft ein
Strafverfahren wegen Begünstigung in 55
Fällen und versuchter Begünstigung in 29
Fällen. Von einer «Sauerei» sprach
Marcel Bertschi am Mittwoch an einer
Medienkonferenz in Zug. Der ehemalige Erste
Staatsanwalt des Kantons Zürich hat im Rahmen
einer vom Zuger Regierungsrat angeordneten
Administrativuntersuchung den Vollzug von 1769
Fällen aus den Jahren 1978 bis 2007 unter die
Lupe genommen.
Warum der Amtsleiter so krass versagte, ist
nicht restlos geklärt. Er sei überfordert
gewesen und häufig krank, sagte Beat Villiger,
Sicherheitsdirektor, der sich vom Chefbeamten so
schnell wie möglich getrennt hat. Als Beamter
habe er Mühe bekundet. Termine zu setzen und
Entscheide zu fällen. Bertschi betont dessen
paternalistisches Amtsverständnis, das er als
fürsorgerische Aufgabe wahrgenommen habe,
anstatt rasch und korrekt die Strafen und
Massnahmen umzusetzen. Als gütiger Patron habe
er viel Verständnis für die Situation der
Verurteilten gezeigt, sagte Bertschi. Auf ihn seien
aber keine strafbaren Druckversuche ausgeübt
worden. Heute werde das Amt wieder einwandfrei
geführt.
Die Untersuchung hat auch zahlreiche
Unregelmässigkeiten bei der
Geschäftsführung zutage gefördert,
die offenbar nicht effizient funktionierte. Laut
Bertschi verdichten sich die Eindrücke zum
Bild eines schlecht geführten Betriebs ohne
Fristen und Kontrollen. Sinnfällig zum
Ausdruck kommt dies in der sehr späten
Einführung eines geeigneten Computersystems
erst im Jahre 2002. Bis dahin bestand die
Geschäftskontrolle laut Bertschi aus einem
handschriftlich geführten «Schwarzen
Buch», in dem die Fälle eingetragen
wurden, sowie Kontrollkarten.
Schatten über Hanspeter Usters Amtszeit
Hanspeter Uster, von 1991 bis Ende 2006 Zuger
Sicherheitsdirektor, bedauert, dass es zu dieser
hohen Zahl von verjährten Füllen gekommen
sei, wie er in einer schriftlichen Stellungnahme
festhält. Er habe 2001 und 2002 verschiedene
Massnahmen getroffen, etwa eine Lohnkürzung,
die Zuweisung eines andern Aufgabenbereichs, den
Beizug eines ausserkantonalen Fachmanns für
die Aufarbeitung von Pendenzen und die
Einführung von Geschäftskontrolllisten.
Das Vertrauen gegenüber dem Chefbeamten sei
nicht gerechtfertigt gewesen. 2006 seien erneut ein
personalrechtliches Verfahren, ein Strafverfahren
und organisatorische Massnahmen verfügt
worden. Nur ein noch strengeres Controlling, vor
allem die Prüfung der Dossiers, wäre
erfolgreich gewesen, sagte Beat Villiger, seit
Januar 2007 Zuger Sicherheitsdirektor. «Unsere
Kontrolle hat nicht funktioniert, die
Kontrollmechanismen haben versagt», sagte
Landammann Joachim Eder. Die politische
Verantwortung dafür trage alt Regierungsrat
Hanspeter Uster, im Sinne der Oberaufsicht aber
auch der Gesamtregierungsrat. Betroffen seien zudem
Legislative und Judikative. Eine Kernaufgabe des
Staates sei während Jahren erheblich
beeinträchtigt worden. Er schliesst nicht aus,
dass der Kantonsrat eine parlamentarische
Untersuchungskommission (PUK) einsetzt, um
abzuklären, warum die Kontrollmechanismen
versagten.
Neue Zürcher Zeitung, 29. Mai 2008
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